Kurze Geschichten über kleine Nöte im Alltag (3/4)

Ein Dankeschön anstelle der Kündigung

Jetzt war es draussen, und Eddie hatte gerade gefühlte 20 Kilogramm Gewicht verloren. Schlecht hatte er geschlafen in den letzten Wochen. Versagensangst plagte ihn. Sein Projekt würde in einem Desaster enden, und die Schuld dafür könnte er niemandem als sich selbst zuschieben.

Noch vor drei Monaten hatte er seinem Chef von der vielversprechenden Idee erzählt – ein Geschäftsmodell, das sich rechnen würde, sagte er damals unverhohlen selbstbewusst. Heute hörte sich das alles nur noch prahlerisch an. Warum hatte er bloss diesen Profilierungsdrang? Oder war es einfach naive Begeisterung, die ihn zu dieser kühnen Aktion drängte? Es ging nicht lange, und er spürte, dass ihm für sein Vorhaben die Fähigkeiten fehlten, er aber keine Mittel und keine Zeit hatte, diese anderweitig zu beschaffen. Probleme tauchten auf, die er alleine nicht lösen konnte – obwohl er dies seinem Chef gegenüber behauptet hatte. Er würde sein Gesicht verlieren, sein Ansehen im Team, wenn er jetzt versagte. Vielleicht sogar den Job?

Und je mehr Eddie sich in diese Vorstellung hineinsteigerte, desto mehr blockierte es ihn. Noch konnte er vertrösten, die ausstehenden Zwischenresultate für sein Projekt einem IT-Problem oder ausstehenden Antworten Dritter zuschreiben. Doch die Zeit zerrann, ohne dass er erste Ergebnisse liefern konnte, ohne dass sich ihm eine zündende Idee offenbarte. Die dunkle Ahnung in ihm wuchs, dass alles in einem Desaster enden würde. Der Tag näherte sich, an dem sein Chef den Stand der Dinge haben wollte. Schliesslich musste auch er das Projekt gegen oben vertreten.

Und nun war er da, der Tag der Wahrheit: Eddie hatte sich nach einer weiteren schlaflosen Nacht und ohne jede Hoffnung, das Projekt gemäss seinen Versprechungen realisieren zu können, entschlossen, dem Chef reinen Wein einzuschenken. Und ja, es war hart – die Enttäuschung im Gesicht des Chefs nicht wegzureden. Aber das Gespräch nahm eine unerwartete Wende: Anstatt ihn blosszustellen, anstatt den möglichen finanziellen Verlust vorzurechnen oder gar die Kündigung auszusprechen, sagte der Chef «Danke». «Danke für deine Ehrlichkeit, danke, dass du mich einweihst. Wir werden nun gemeinsam das weitere Vorgehen besprechen und retten, was zu retten ist. Du wirst darin deine Kompetenzen einbringen, ich die meinen.»

Drei Schlüsse zog Eddie aus dieser Erfahrung:

  1. Der Chef hat aus meiner Schwäche eine Stärke gemacht. Nicht das scheiternde Projekt stand im Vordergrund, sondern meine Ehrlichkeit.
  2. Ich habe mein Gesicht nicht verloren, meine Loyalität und meine absolute Tatkraft hat er auf sicher.
  3. Der Chef ist eben auch ein Mensch.

 

Karin Landolt
Journalistin, Moderatorin, Texterin




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