Glauben Sie an sich selbst?
Gerade habe ich eine Person begleitet, welcher überhaupt nicht bewusst war, was in ihr steckt. Was sie empfinde, sei nicht wichtig. Was sie zu sagen habe, irrelevant. Was sie interessiere, unwichtig für die Welt.
Wie kommt es, dass sich andere Leute solche Fragen niemals stellen, sondern ihre eigenen Interessen immer ganz zuoberst auf der Welt-Prioritätenliste sehen? Und die sich heute so darüber aufregen, dass die Welt nicht mehr so ist, wie sie mal war? Plötzlich werden so genannte Soft-Themen wie Rassismus, Genderanliegen, Bienensterben oder Kindertagesstätten in den öffentlichen Diskurs gebracht. Dabei gäbe es doch wichtigeres: Lieferketten, Energieversorgung, Krankenkassenprämien, Lohnerhöhung.
Auf den ersten Blick mag es stimmen, denn die Themen rütteln an unserem Existenzempfinden, Überleben, Wirtschaftlichkeit. Aber vielleicht haben wir diese Probleme ja gerade deshalb, weil wir seit Jahrzehnten die Welt einseitig betrachten und damit Missstände erst produzieren? Ungleichheit in der Prioritätenliste führt zu Ungleichheit und damit zu vielen Problemen im realen Leben. Mit diesem Riesenbogen in die Weltpolitik habe ich meine Bekannte an ihre wichtige Rolle appelliert.
Apros Rolle: Es fällt auf, dass die deutsche Regierung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und ihrer Schlüsselrolle bewusst und strategisch der Begriff «gemeinsam» einsetzt. Keiner gewinnt, wenn er im Alleingang handelt. Probleme, die aus einer einzigen Perspektive heraus «gelöst» werden, bleiben Probleme und produzieren oft zahlreiche Verlierer/innen, da deren Perspektive ignoriert wurde. Deutschland wählt den gemeinsamen Weg (aus historischen Gründen, aber nicht nur), ein wichtiges und starkes Signal für ein positives Globalisierungsverständnis. Nur mit Solidarität können wir einem Aggressor Widerstand leisten, eine Versorgungslücke schliessen, eine Pandemie bekämpfen, die Demokratie stärken.
Für dieses «Gemeinsam» braucht es die Sicht, das Wissen, das Talent und die Meinung jedes/jeder Einzelnen: Die Sicht der Minderheiten, der Frauen, jeder Bürgerin und jedes Bürgers – auch bei der Überwindung von Wirtschaftskrisen. Denn davon betroffen sind die Lebenswelten von uns allen. Innovation ist nicht nur in Form von leistungsstarken Batterien für die Autoindustrie gefragt, sondern auch in personal- und patientenverträglichen Abläufen in den Spitälern, familientauglichen Betreuungskonzepten in den Kitas, der Beobachtung von Überlebensstrategien in den Bienenstöcken oder einer wegweisenden Umgangskultur am Arbeitsplatz. Nur gemeinsam finden sich sinnvolle und langfristige Lösungen, von deren Geist hoffentlich alle profitieren.
Ich habe also meiner Bekannten gesagt – und manchmal muss ich das auch mir selbst sagen – dass ihre Ideen, ihre Empfindungen, ihre Interessen von höchster Bedeutung sind, auch wenn sie im Moment nicht so wichtig erscheinen mögen. Und dass jene, die sich zuoberst auf der Prioritätenliste sehen, nicht selten – und buchstäblich – warme Luft produzieren, die die Welt nicht braucht.
Glauben Sie an sich selbst und an das, was Sie der Gesellschaft bieten können.
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