Gleichstellung braucht Engagement, Klugheit und viel Geduld
Ich gehöre zur Generation Frauen, die noch Fräulein genannt wurden, die energisch für mehr Mitsprache und Sichtbarkeit der weiblichen Hälfte unserer Gesellschaft aufstanden, und sich damit unfreiwillig die unrühmliche Etikette der «Emanze» anheften liessen. Ich wäre lieber für meine Leistungen gewürdigt worden. Vieles mussten wir Mädchen und Ladies im Laufe unserer Berufslaufbahn erdulden, während ein Grossteil unserer Kollegen in die Chefpositionen befördert wurden.
Noch vor wenigen Jahren kassierte ich in einer grossen Schweizer Zeitungsredaktion Kopfschütteln, weil ich den «generischen Maskulin» infrage stellte und mich also für die weibliche Form in unseren Texten aussprach. Umso mehr freue ich mich heute über die jüngste Entwicklung: Die weibliche Form ist inzwischen vielerorts selbstverständlich, es gibt sogar Männer, die fast nur noch die weibliche Form verwenden. Ein Quantensprung – zumindest für meine Generation.
Vielen jungen Frauen geht die Entwicklung nicht schnell und weit genug. Eine Katastrophe, wenn die Gendersprache nicht bis in die hintersten Winkel durchgesetzt, die Redezeit der Frauen und Männer nicht auf die Sekunde genau abgemessen wird. Die Quoten rauf, Mansplaining weg! Sofort!
Ich bin grundsätzlich einverstanden. Nur – und das sage ich der Generation Y und Z mit der Erfahrung der Generation X – passt auf, dass ihr das Kinde (den Bub?) nicht mit dem Bade ausschüttet. Werden die Forderungen zu einseitig, zu forsch, zu radikal, laufen wir Gefahr, einen Widerstand aufzubauen und selbst Leute gegen die Entwicklung der Gendergerechtigkeit aufzubringen, die bis anhin der Feminisierung unserer Gesellschaft wohlgesinnt waren. Vergleichen wir es mit der Klimabewegung rund um Greta Thunberg: einst Sympathieträgerin und bewundertes Vorbild, sind sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu Projektionsflächen verkommen, für alles, was dem Menschen die Lebensfreude versaut. Auch wenn zunehmend absurde Unterstellungen ins Kraut schiessen (so will sich etwa eine bekannte AfD-Spitzenpolitikerin «mein Schnitzel nicht wegnehmen lassen», obwohl ihr nie jemand das Fleischessen verbot): Die Debatte ist in destruktive Schuldzuweisungen abgedriftet. Menschen reagieren mit Hass und Widerstand. Und damit wurde das Gegenteil erreicht von dem, was wir für unseren schönen Planeten wünschen. Die klimakämpferische Politik verliert gerade flächendeckend an Terrain.
Frauen müssen in Analogie dazu deswegen nicht zu den Regeln des Patriarchats zurückrudern. Demokratien, die nur Männer gestalten, gehören hoffentlich definitiv der Vergangenheit an. Wir sollten aber unseren Fortschritt einfach etwas auskosten, den forschen Ton etwas zurückfahren – und kommen damit möglicherweise flotter vorwärts als wir glauben.
Auch mir konnte Gleichstellung einst nicht schnell genug gehen. Doch eines habe ich gelernt: Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand machen wir die Wand nur dicker. Weil uns Verbissenheit nur Gegner (und Gegnerinnen!) bringt.
Danke, junge Frauen für euren Einsatz, und auch für eure Klugheit. Und nicht zuletzt die wahre Meisterleistung: Eure Geduld.
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