Gesprächskultur Blog

Gleichstellung braucht Engagement, Klugheit und viel Geduld

Ich gehöre zur Generation Frauen, die noch Fräulein genannt wurden, die energisch für mehr Mitsprache und Sichtbarkeit der weiblichen Hälfte unserer Gesellschaft aufstanden, und sich damit unfreiwillig die unrühmliche Etikette der «Emanze» anheften liessen. Ich wäre lieber für meine Leistungen gewürdigt worden. Vieles mussten wir Mädchen und Ladies im Laufe unserer Berufslaufbahn erdulden, während ein Grossteil unserer Kollegen in die Chefpositionen befördert wurden.

Noch vor wenigen Jahren kassierte ich in einer grossen Schweizer Zeitungsredaktion Kopfschütteln, weil ich den «generischen Maskulin» infrage stellte und mich also für die weibliche Form in unseren Texten aussprach. Umso mehr freue ich mich heute über die jüngste Entwicklung: Die weibliche Form ist inzwischen vielerorts selbstverständlich, es gibt sogar Männer, die fast nur noch die weibliche Form verwenden. Ein Quantensprung – zumindest für meine Generation.

Vielen jungen Frauen geht die Entwicklung nicht schnell und weit genug. Eine Katastrophe, wenn die Gendersprache nicht bis in die hintersten Winkel durchgesetzt, die Redezeit der Frauen und Männer nicht auf die Sekunde genau abgemessen wird. Die Quoten rauf, Mansplaining weg! Sofort!

Ich bin grundsätzlich einverstanden. Nur – und das sage ich der Generation Y und Z mit der Erfahrung der Generation X – passt auf, dass ihr das Kinde (den Bub?) nicht mit dem Bade ausschüttet. Werden die Forderungen zu einseitig, zu forsch, zu radikal, laufen wir Gefahr, einen Widerstand aufzubauen und selbst Leute gegen die Entwicklung der Gendergerechtigkeit aufzubringen, die bis anhin der Feminisierung unserer Gesellschaft wohlgesinnt waren. Vergleichen wir es mit der Klimabewegung rund um Greta Thunberg: einst Sympathieträgerin und bewundertes Vorbild, sind sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu Projektionsflächen verkommen, für alles, was dem Menschen die Lebensfreude versaut. Auch wenn zunehmend absurde Unterstellungen ins Kraut schiessen (so will sich etwa eine bekannte AfD-Spitzenpolitikerin «mein Schnitzel nicht wegnehmen lassen», obwohl ihr nie jemand das Fleischessen verbot): Die Debatte ist in destruktive Schuldzuweisungen abgedriftet. Menschen reagieren mit Hass und Widerstand. Und damit wurde das Gegenteil erreicht von dem, was wir für unseren schönen Planeten wünschen. Die klimakämpferische Politik verliert gerade flächendeckend an Terrain.

Frauen müssen in Analogie dazu deswegen nicht zu den Regeln des Patriarchats zurückrudern. Demokratien, die nur Männer gestalten, gehören hoffentlich definitiv der Vergangenheit an. Wir sollten aber unseren Fortschritt einfach etwas auskosten, den forschen Ton etwas zurückfahren – und kommen damit möglicherweise flotter vorwärts als wir glauben.

Auch mir konnte Gleichstellung einst nicht schnell genug gehen. Doch eines habe ich gelernt: Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand machen wir die Wand nur dicker. Weil uns Verbissenheit nur Gegner (und Gegnerinnen!) bringt.

Danke, junge Frauen für euren Einsatz, und auch für eure Klugheit. Und nicht zuletzt die wahre Meisterleistung: Eure Geduld.

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Schweigen wir uns in ein dunkles Zeitalter?

Die Zeiten sind konfliktbeladen. Reale und drohende Kriege belasten unsere Gedanken. Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, dass eine grosse Schweizer Zeitung im Jahr 2024 auf ihrer Titelseite darüber sinnieren wird, wie wahrscheinlich ein dritter Weltkrieg sei.

Unsere Informationskanäle sind durchseucht von Falschmeldungen – die Tatsache, dass sich jeder und jede des Programms ChatGPT und anderer künstlicher Intelligenzen bedienen kann, ohne über die Quellenlage nachzudenken, entschärft die Lage ganz und gar nicht. Extreme Meinungen werden salonfähig, Fronten verhärten sich. Wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, dass unsere demokratischen Errungenschaften im Jahr 2024 in Gefahr geraten?

Es scheint, dass immer mehr narzisstische, machtgierige, verrückte, unverfroren-rücksichtslose und eigennützige Figuren die Weltlage kontrollieren. Was für eine grauenhafte Welt kreieren wir da? Ja – Wir! Nicht die. Denn wir alle sind Teil dieses Weltgefüges. Wenn auch nur ein winziger.

Wir entscheiden uns für oder gegen Verantwortung. Wir wählen, wir konsumieren, wir stehen für Werte und Haltungen ein, oder eben nicht. Wir setzen uns auseinander, oder wir schweigen. Wir kämpfen, oder wir ducken uns – nicht nur wenn es um grosse weltpolitische Dinge geht, sondern in ganz alltäglichen Dingen, in der Familie, in Freundschaften, am Arbeitsplatz. Indem wir schweigen, statten wir andere mit Macht aus und geben ihnen den Raum, ohne den sie ihre Macht nicht ausüben könnten. Dutzende von täglichen Entscheidungen führen letztlich dazu, dass sich diese oder jene behaupten. Wir können es beeinflussen.

Klingt idealistisch? Vielleicht. Aber ich glaube an die Wirkung des Kleinen, um nicht zu sagen, an die Macht der vielen kleinen starken Dinge, die täglich geschehen. Immerhin kümmert sich der wesentlich grössere Teil der Menschheit um seine Lieben, befürwortet Gerechtigkeit, setzt sich dafür ein, das Beste aus dem Leben zu machen und als Vorbild zu wirken. Das ist der Grund, weshalb wir optimistisch bleiben dürfen. Diese Menschen müssen wir ermutigen, für sie einmal das Wort ergreifen, anstatt zu schweigen, wenn andere sich vordrängen. Es steht ganz allein in unserer Macht, ob wir es tun oder nicht.

Ich schliesse mit den Worten des verstorbenen, früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan, der einmal sagte: «Alles, was das Böse benötigt, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit.»

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Alternativen schaffen

«Ich bin froh, dass sie vorüber sind» – diesen Satz habe ich über die Festtage gefühlt 20 Mal gehört. Von Menschen, die offensichtlich unter den Festtagen leiden.

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5 Jahre Gesprächskultur – ein kleines Jubiläum

Vor fünf Jahren habe ich den Firmennamen «Gesprächskultur» offiziell registriert – beruflich bin ich im Sinne der Gesprächskultur etliche Jahre länger unterwegs. Es ist ein Privileg, über die Jahre hinweg so vielen interessanten, vielseitigen und herausfordernden Aufgaben zu begegnen, vom Moderieren, über die redaktionelle Verantwortung von Magazinen und das Texten bis zur Konzeptgestaltung, Projektleitung und Organisationsentwicklung.

Was mich in meiner journalistischen Tätigkeit, als Projektpartnerin und Unternehmerin immer geleitet hat, ist die Sinnhaftigkeit und die Idee, für einen guten Dialog zu sorgen, der die Meinungsbildung fördert und in der Konsequenz zu einer lebendigen Demokratie beiträgt. Dazu gehören das Engagement für den unabhängigen Journalismus, Bildungsprojekte und Kritisches Denken – das im Wesentlichen auch Zuhören bedeutet. Auch Themen wie die psychische Gesundheit, die Versorgungssicherheit und die Nachhaltigkeit in allen Dimensionen beschäftigen mich regelmässig.

Es erfüllt mich mit Begeisterung und Stolz, in so wichtigen Themen zu einer konstruktiven Gesprächskultur beitragen zu können. Nur wenn wir den Dialog pflegen, erreichen wir langlebige Ergebnisse und den Rückhalt für das friedliche Zusammenleben und ein konstruktives Zusammenwirken.

Danke, dass auch Sie den Dialog pflegen, danke für die wunderbare Zusammenarbeit – bisher und auch in Zukunft.

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Die Zeichen des Lebens in Geschenke umwandeln

Wie ist es dir im allmählich endenden Jahr ergangen? Hattest du unvergessliche Begegnungen? Spannende Aufgaben? Aufregende Auftritte? Sind dir besonders inspirierende Diskussionen in Erinnerung geblieben? Kurz: Hast du wieder einmal erfahren, wie spannend das Leben ist?

Ich habe das Glück, die vergangenen Monate genau so in Erinnerung behalten zu dürfen. Natürlich haben mich die vielen Krisen nicht kalt gelassen. Im Gegenteil. Was mir aber auf der persönlichen Ebene bleibt, ist folgendes: Vermeintliche Tiefschläge, Irritationen oder mutmassliche unüberwindbare Hürden können auch Geschenke sein. Sie zwingen uns, über uns und unseren Lebensweg nachzudenken. Oft brauchen wir Mut, Durchhaltevermögen, Geduld und die Fähigkeit, auch Negatives zu akzeptieren und in unser Leben zu integrieren. Manchmal fliessen Tränen. Doch vieles können wir uns zunutze machen. Ein Konflikt bei der Arbeit, eine abgebrochene Freundschaft, ein verletzendes Wort: Sie können uns stärker machen, wenn wir die nötige Portion Selbstreflexion und eine grosse Bereitschaft für die persönliche Entwicklung aufbringen – und so die Zeichen des Lebens in Geschenke umwandeln.

Und mit diesen Gedanken packe ich auch die Arbeit im neuen Jahr an. Voller Neugierde und Tatendrang für das, was kommt. Dazu gehört auch die Begegnung mit dir. Ich freue mich darauf und wünsche ein wunderbares 2023!

Karin Landolt

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Glauben Sie an sich selbst?

Gerade habe ich eine Person begleitet, welcher überhaupt nicht bewusst war, was in ihr steckt. Was sie empfinde, sei nicht wichtig. Was sie zu sagen habe, irrelevant. Was sie interessiere, unwichtig für die Welt.

 

Wie kommt es, dass sich andere Leute solche Fragen niemals stellen, sondern ihre eigenen Interessen immer ganz zuoberst auf der Welt-Prioritätenliste sehen? Und die sich heute so darüber aufregen, dass die Welt nicht mehr so ist, wie sie mal war? Plötzlich werden so genannte Soft-Themen wie Rassismus, Genderanliegen, Bienensterben oder Kindertagesstätten in den öffentlichen Diskurs gebracht. Dabei gäbe es doch wichtigeres: Lieferketten, Energieversorgung, Krankenkassenprämien, Lohnerhöhung.

 

Auf den ersten Blick mag es stimmen, denn die Themen rütteln an unserem Existenzempfinden, Überleben, Wirtschaftlichkeit. Aber vielleicht haben wir diese Probleme ja gerade deshalb, weil wir seit Jahrzehnten die Welt einseitig betrachten und damit Missstände erst produzieren? Ungleichheit in der Prioritätenliste führt zu Ungleichheit und damit zu vielen Problemen im realen Leben. Mit diesem Riesenbogen in die Weltpolitik habe ich meine Bekannte an ihre wichtige Rolle appelliert.

 

Apros Rolle: Es fällt auf, dass die deutsche Regierung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und ihrer Schlüsselrolle bewusst und strategisch der Begriff «gemeinsam» einsetzt. Keiner gewinnt, wenn er im Alleingang handelt. Probleme, die aus einer einzigen Perspektive heraus «gelöst» werden, bleiben Probleme und produzieren oft zahlreiche Verlierer/innen, da deren Perspektive ignoriert wurde. Deutschland wählt den gemeinsamen Weg (aus historischen Gründen, aber nicht nur), ein wichtiges und starkes Signal für ein positives Globalisierungsverständnis. Nur mit Solidarität können wir einem Aggressor Widerstand leisten, eine Versorgungslücke schliessen, eine Pandemie bekämpfen, die Demokratie stärken.

 

Für dieses «Gemeinsam» braucht es die Sicht, das Wissen, das Talent und die Meinung jedes/jeder Einzelnen: Die Sicht der Minderheiten, der Frauen, jeder Bürgerin und jedes Bürgers – auch bei der Überwindung von Wirtschaftskrisen. Denn davon betroffen sind die Lebenswelten von uns allen. Innovation ist nicht nur in Form von  leistungsstarken Batterien für die Autoindustrie gefragt, sondern auch in personal- und patientenverträglichen Abläufen in den Spitälern, familientauglichen Betreuungskonzepten in den Kitas, der Beobachtung von Überlebensstrategien in den Bienenstöcken oder einer wegweisenden Umgangskultur am Arbeitsplatz. Nur gemeinsam finden sich sinnvolle und langfristige Lösungen, von deren Geist hoffentlich alle profitieren.

 

Ich habe also meiner Bekannten gesagt – und manchmal muss ich das auch mir selbst sagen – dass ihre Ideen, ihre Empfindungen, ihre Interessen von höchster Bedeutung sind, auch wenn sie im Moment nicht so wichtig erscheinen mögen. Und dass jene, die sich zuoberst auf der Prioritätenliste sehen, nicht selten – und buchstäblich – warme Luft produzieren, die die Welt nicht braucht.

 

Glauben Sie an sich selbst und an das, was Sie der Gesellschaft bieten können.

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Warum nicht einmal kitschige Landschaften?

«Hindernisse sind nicht im Weg – sie SIND der Weg». Seit einigen Monaten gehe ich mit dieser Sicht durchs Leben, und erst vor Kurzem habe ich realisiert, dass die japanische Zen-Philosophie diese grossartige Erkenntnis vor hunderten von Jahren bereits in Worte gefasst hat. Hindernisse sind der Weg. Eine Freundin brauchte mich auf Zen, als sie mich erzählen hörte, wie ich die letzten zwei, drei schwierigen Umstände tapfer zu meistern versuche – berufliche wie private. Abschnitte auf meinem Lebensweg, wie Sie sie auch kennen.

Hindernissen zu begegnen oder sie auszuräumen ist anstrengend, und ich gebe zu: Manchmal fehlt mir einfach die Kraft. Das Leben hat wahrlich genügend davon bereitgestellt. Doch vergesse ich manchmal, dass da nicht nur Steine oder Felsbrocken liegen – am Wegrand blühen auch Blumen, duften Kräuter, zeigen sich malerische Landschaften, betören uns das Summen von Bienen oder das Plätschern eines Bergbachs. Es gibt genug Begegnungen und Erlebnisse, die uns mit Kraft versorgen, uns Mut machen, uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern – wenn wir sie denn sehen, hören, riechen und spüren.

Diese Erkenntnis nehme ich mit ins neue Jahr, versuche, mit Mut und Neugierde den Herausforderungen zu begegnen, von denen ich heute noch nichts weiss. Und ich hoffe, dass ich anderen die blühende Blume, das duftende Kraut, die summende Biene oder der plätschernde Bach sein kann. Was für eine wunderschöne Landschaft könnten wir kreieren, würde uns das gemeinsam gelingen. Schon fast kitschig. So gesehen würde mir eine kitschige Welt durchaus gut gefallen.

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An alle Journalistinnen und Konzernchefs, die es wirklich wissen wollen

Lonza lässt seit 50 Jahren aus seinem Werk in Visp eine exorbitant hohe Konzentration des klimaschädlichen Lachgases in die Atmosphäre ausströmen – seit 2018 ist dem Konzern das Leck bekannt. Die Installation eines Katalysators, der den Schaden um 98 % der bisherigen Menge reduziert, verzögert sich um Monate, weil Lonza maximal vom CO2-Emissionshandel profitieren will. Dies geht aus dem Bericht des Journalisten Christoph Lenz hervor. Er schreibt, dass der Konzern 12 Millionen für ein Ende der Klimakatastrophe investiert, und gleichzeitig Zertifikate einstreicht, die ihm 35 Millionen in die Kasse spülen. Gutes Geschäft, so ein Klimaschaden. Auch das Bundesamt für Umwelt BafU und nicht zuletzt natürlich das fragwürdige Emissionshandels-System spielen laut Lenz eine entscheidende Rolle für diesen Skandal.

Schlimm genug. Hinzu kommt, dass Lonza im Geschäftsbericht kein Wort über den Ausstoss von 60’0000 Tonnen CO2-Äquivalenten verliert. Die Aktionär/innen und die gesamte Öffentlichkeit  werden darüber hinweggetäuscht, dass Lonza doppelt so klimaschädlich ist als vorgegeben. Ist das kriminell?

Klar scheint: Wasser predigen und Wein trinken lohnt sich, denn Lonza wurde in der Öffentlichkeit in jüngerer Vergangenheit als fortschrittlicher Konzern in der Klimapolitik wahrgenommen. Der Fall bestätigt leider marktkritische Aktivist/innen, die Konzerne bezichtigen, imagefördernde Hochglanz-Nachhaltigkeitsbroschüren zu publizieren, während sie sich hinter den Kulissen einen Deut um das Klima scheren, und stattdessen viel Zeit in Verhandlungen stecken, um unmoralische Geschäfte profitabler zu machen.

Wir haben in der Schweiz im November über die Konzernverantwortung abgestimmt. Das Ständemehr hat die Initiative zu Fall gebracht. Das Beispiel zeigt deutlich: Die Konzernverantwortung bleibt ein aktuelles Thema und muss genau beobachtet werden. Aber was – wenn nicht der verbindliche Geschäftsbericht – kann einer seriösen Beurteilung dienen? Es sind die Journalist/innen, die NGOs und beherzte Mitarbeitende, oder auch Konzernchef/innen, die als Vorbilder mit echtem Engagement vorangehen. Vielen Dank dafür.

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Perspektivenwechsel – das neue Erfolgsrezept

Neue Arbeitswelten oder auch New Work genannt, legen rasant an Bedeutung zu, weil ja nichts mehr ist, wie es war. Weder für Kunden noch für Geschäftspartnerinnen, weder für Startupperinnen noch für etablierte Unternehmer. Wir müssen uns neu erfinden, und das ist die schöne Seite, die uns die Corona-Katastrophe beschert.

Ich habe mich in diesem Jahr oft gefragt, warum es mir so wohl ist in meiner eigenen Arbeitswelt. Und ich habe die Antwort gefunden. Ich bin als Teilselbstständige und Teilzeitangestellte ständig dem Perspektivenwechsel ausgesetzt, sowohl in meiner Rolle als Führungskraft als auch als Auftragnehmerin: Ich lerne einerseits ständig dazu, und ich kann andererseits viel Wissen und Erfahrung weitergeben. Meine Aufgaben zwingen mich, laufend die Perspektive zu wechseln, und eine gewisse Sensibilität für unterschiedliche Arbeitsrealitäten zu entwickeln: Anweisungen befolgen – Aufträge erteilen, profitieren von der Entscheidungsfreude einer Chefin – Entscheidungsverantwortung und Verantwortung für Mitarbeitende übernehmen. Mal unterordnen und vielleicht zähneknirschend einen Entscheid von oben akzeptieren – mal selber ein notwendiges Machtwort sprechen und wissen, dass ich mich als Boss gerade unbeliebt mache.

Ich lerne, dass ein Perspektivenwechsel heilsam ist. Er schützt davor, eine unreflektierte Haltung einzunehmen, wie etwa: «Die da oben nehmen uns gar nicht ernst», oder: «Warum begreifen die da unten nicht, dass ich es besser weiss?».

Wir verändern den Blick zum «Oben oder Unten» hin zum «Gegenüber». Wir ziehen am gleichen Strick, nur gemeinsam können wir erfolgreich sein. Wir artikulieren uns als Mitarbeitende, werden gehört und im besten Fall sogar verstanden. Als Chefinnen und Chefs müssen wir nicht alles besser wissen, und können uns vom Druck der Verantwortung entlasten.

Ein gutes Beispiel für dieses Miteinander ist das Unternehmen «Freitag», das allen Mitarbeitenden einen Teil der Verantwortung überträgt. Es gibt keine klassische Führungsriege, jede und jeder versteht sich als wertvollen Teil eines grossen Ganzen – eines erfolgreichen grossen Ganzen notabene.

Eine ermutigende Erfahrung machte kürzlich meine 18-jährige Tochter, als sie als Kauffrau in Ausbildung ihre ALS-Arbeit präsentierte. Auch der Direktor des Unternehmens war dabei und hörte interessiert zu. Am Schluss bat er sie um ihre Expertise: «Helfen Sie uns, unser Unternehmen voranzubringen und machen Sie uns Vorschläge, wie wir ältere Mitarbeitende gut in die neue digitale Arbeitswelt mitnehmen können.» Er lobte damit nicht nur ihre Arbeit und ihren Wert für das Unternehmen, sondern sprach eine Lernende sogleich als angehende Führungskraft an. Mehr Anerkennung und Motivation kann ein Chef, der sich als Teil eines Ganzen sieht, kaum ausdrücken.

Vorbei ist die Zeit, in der sich die einen als Alphatiere verstehen, und die anderen als Lemminge hinterhertrotten. Perspektivenwechsel ist die neue Arbeitswelt. Das verlangt viel ab, sowohl von den Alphatieren, als auch von den Lemmingen. Aber es ermöglicht eine Wirtschaft, welche die Kompetenzen des und der Einzelnen gewinnbringend einsetzt, davon können alle nur profitieren.

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Freiwilligkeit reicht nicht

Gerade das aktuelle Beispiel mit dem Lonza-Konzern, der seit Jahren wissentlich klimaschädliches Gas in exorbitanten Mengen in die Luft lässt, zeige, dass Freiwilligkeit nicht reicht, wenn es um Verantwortung geht, schreibt Karin Landolt. Deshalb brauche es die Konzernverantwortungsinitiative. Die vielen Unternehmen, die heute schon sorgfältig arbeiteten, könnten davon nur profitieren.

Es gibt keinen Konzern, der willentlich und mit böser Absicht Menschenrechte oder Umweltgesetze mit Füssen tritt. Zumindest wäre dies eine grobe Unterstellung und auf diesem Niveau muss auch nicht diskutiert werden, denn es geht nicht um die Kriminalisierung der Wirtschaft.

Es geht um Situationen, vor denen wir Kundinnen, Investoren, Zulieferer, Aktionärinnen, Mitarbeiter oder Unternehmerinnen lieber die Augen verschliessen, da uns ein Schnäppchen, ein Gewinn, ein Erfolg, ein Bonus entgehen könnte. Sonst müssten Leiharbeiter im nordwestindischen Bundesstaat Chhattisgarh und die dortige Bevölkerung nicht jahrelang gegen Enteignung durch die mächtige Industrie kämpfen. Nur dank einer Beschwerde bei der OECD hat sich der dort produzierende Zementkonzern LafargeHolcim zum Dialog bewegen lassen. Lonza lässt seit Jahren aus seinem Werk in Visp eine exorbitant hohe Konzentration des klimaschädlichen Lachgases in die Atmosphäre ausströmen – vergleichbar mit der Menge der gesamten Schweizer Verkehrsabgase. Gehandelt wird erst, wenn sich der Bund an der Behebung der Katastrophe finanziell beteiligt. Nestlé besitzt im US-Staat Michigan die Rechte für Grundwasser, ohne sich an vereinbarte Leistungen zugunsten der Bevölkerung zu halten, andere Interessen scheinen wichtiger zu sein. Wir alle wissen von gesundheitsschädigenden Abbaumethoden durch in der Schweiz ansässige Rohstoffkonzerne, welche in fernen Ländern die lokale Bevölkerung und die Umwelt trotz jahrelanger Kämpfe ertragen, damit bei uns die neuesten Handys und die besten Technologien auf dem Markt landen.

Schutz für vorbildliche Unternehmen

Es gibt sie natürlich, Unternehmen, die nicht auf dem Blut der Entrechteten ihren Erfolg aufbauen. Es ist die grosse Mehrheit – so meine und hoffe ich – die ihre Wertschöpfungskette auf allfällige Ungereimtheiten prüft und hellhörig wird, wenn der Preis im Vergleich zur Leistung in krassem Missverhältnis steht.

Neben der Verbesserung der betroffenen Arbeiter, Kinder oder Regionen, denen mit der Konzernverantwortungsinitiative eine juristische Handhabe gereicht wird, profitieren also all jene Unternehmen, die bisher ihre Corporate Responsibility nicht alleine als Imagefaktor betrachten. Es profitiert eine Schweiz, die auf der humanitären Tradition weiterbauend als wegweisende Volkswirtschaft auftreten kann, und einer modernen globalen Wirtschaft die nachhaltige und faire Richtung zeigt. Oder soll die Schweiz hinterherhinken und irgendwann die schärferen Gesetze, die andere europäische Länder anstreben, im Zugzwang übernehmen müssen? Nein, solche Szenarien haben wir noch nie gemocht.

Es geht um Signalwirkung

Gegen ein Schweizer Unternehmen zu klagen wird auch mit der Annahme der Initiative schwierig, die Hürden dafür sind enorm hoch. Es wird keine Flut von Klagen gegen die Schweiz geben. Aber allein die geschaffene Möglichkeit dafür wird Konzerne dazu bewegen, handfeste Kontrollmechanismen einzurichten, sodass es gar nicht erst zu Menschenrechtsverstössen und Umweltschäden durch Ignoranz kommt. Ignoranz bleibt solange auf dem Tapet, solange es keine juristische Handhabe gibt.

Wie schön wäre es, wenn es freiwillig funktionieren würde.

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